Ein Portrait

Aus der Geschichte

Eine genaue zeitliche Zuordnung des Mühlenbaus ist nicht bekannt, deren ursprüngliche Errichtung mit der Dorfgründung am heutigen Standort aber wahrscheinlich.

Die bauliche Entwicklung einer Mühle orientiert sich nach den betrieblichen Erfordernissen. Zeitweise waren gleichzeitig Säge-, Getreide- und Ölmühle mit jeweils eigenem Wasserradantrieb vorhanden. 1903 wurde die erste Turbinenanlage eingebaut. Bis 1973 war die Mühle in herrschaftlichem Besitz. 1974 erfolgte eine umfassende Modernisierung zur Getreidemühle. 1996 wurde der Mahlbetrieb eingestellt und dient die Mühle seither vorwiegend der Stromerzeugung. Mit dem Einbau einer modernen Kaplan-Turbine im Frühjahr 1999 konnte die Leistungsfähigkeit der Anlage optimiert werden. Es werden jährlich ca. 120.000 kwh Strom produziert und damit etwa 35 Haushalte versorgt. Im Zuge der Erneuerung der Straße steuerten die Mühlenbesitzer in 2005 die Mehrkosten zur Herstellung des Pflasterbildes vor der Mühle bei. Die Mahlanlagen sind noch fast vollständig erhalten. Mühlenführungen sind nach Voranmeldung möglich.

Die Situation

  Überflug

Die Dorfmühle Willingshausen ging im Sommer 1996 in den Besitz von Susanne Korte und Jörg Haafke über, nachdem die Getreidevermahlung mit dem Eintritt von Müllermeister Georg Riebeling in den Ruhestand eingestellt wurde. Seine Frau Elisabeth und er hatten sich vergeblich darum bemüht, die Getreidevermahlung an einen Müller weiterzugeben. Doch die kleinen Mühlen stehen heute unter einem starken Konkurrenzdruck, so daß kein junger Müller das Wagnis eingehen wollte, seine Familie durch diesen Mühlenbetrieb zu ernähren. Dennoch wollten sie die Mühle nicht einfach stilllegen, sondern ihr eine Chance auf eine neue Aufgabe und Bedeutung geben. Mit dieser Perspektive hatten sie sich bereits auf dem Nachbargrundstück ein altes Fachwerkhaus als Alterssitz liebevoll restauriert und in dieser Hoffnung die Mühle schließlich an die heutigen Eigentümer übergeben. Susanne Korte und Jörg Haafke betreiben in diesem Sinne die Einlagerung und Trocknung von Roggen und Weizen aus ökologischem Anbau. Von der Emsmühle aus Gudensberg-Obervorschütz beziehen die neuen Mühlenbesitzer Mehl und Kleie und halten damit das örtliche Angebot insbesondere für „Selbstbäcker“ zur Unterstützung der Schwälmer Backhaustradition aufrecht. Das Angebot an „Landprodukten aus der Dorfmühle“ wurde allmählich um regionale Säfte, ökologische Weine und Naturkostwaren erweitert.

Mit dem Aufbau der eigenen, ökologisch ausgerichteten Landwirtschaft sind nun auch Wurst- und Fleischwaren vom Schwein, vom Rind und vom Lamm im Angebot. Die Wasserkraftanlage der Dorfmühle dient den neuen Mühlenbesitzern derzeit lediglich zur „Strom-Müllerei“, dabei wird der überschüssig erzeugte Strom in das Netz der E.on eingespeist. Die Getreidevermahlungseinrichtungen sind noch vollständig erhalten, und Susanne Korte und Jörg Haafke hegen die Hoffnung, die Mehlproduktion „eines Tages“ zumindest in einem geringen Umfang wieder in Betrieb nehmen zu können.

Das Projekt

  Mühlentag  

Die neuen Mühlenbesitzer haben das Ziel, den Standort der Dorfmühle den gegenläufigen gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen zum Trotz wieder zu einer eigenständigen Existenzgrundlage im ländlichen Raum zu entwickeln. Dabei kommt dem Aufbau einer standörtlich angepassten Landwirtschaft mit Direktvermarktung eine zentrale Rolle zu. Der von Susanne Korte geführte landwirtschaftliche „BIOLAND“-Betrieb ist auf die Grünlandbewirtschaftung in der Antreffaue ausgerichtet. Es kommen ausschließlich alte, vom Aussterben bedrohte Tierrassen zum Einsatz. Das Rote Höhenvieh wird zur Mutter- und Ammenkuhhaltung herangezogen, die Nachbeweidung erfolgt durch Coburger Fuchsschafe. Die Schweinemast (Schwäbisch Hällisch x Pietrain) und eine kleine Hühnerschar (Vorwerkerhühner) runden die Tierhaltung ab. Zur winterlichen Unterbringung steht den Kühen ein tiergerechter Außenklimastall zur Verfügung.

Im Rahmen einer grundlegenden Sanierung haben die neuen Mühlenbesitzer im Frühjahr 1999 die wasserbaulichen Anlagen weitestgehend erneuert. Nicht nur die Wehranlage erhielt ein neues, einsatzfähiges Schütz, sondern es wurde auch eine neue Turbinenanlage mit einer auf die Stromproduktion ausgerichteten Kaplan-Turbine eingebaut. Zugleich wird das Fließgewässersystem im Bereich der Dorfmühle allmählich durch Anpflanzungen von Erlen und die Umwandlung naturferner Steinuferabschnitte in blühende Röhrichtufer ökologisch aufgewertet. Weiterhin ist eine Fischaufstiegsanlage geplant. Seit Sommer 2004 ergänzt eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach des Rinderstalles mit 25 kWp Leistung die Erzeugung von Strom durch erneuerbare Energien. Die Durchführung des „Moot bey de Mehl“ als regionaler Markt bäuerlich-handwerklicher Produkte in Verbindung mit Kunst, Information und Unterhaltung im Rahmen des „Deutschen Mühlentages“ (alljährlich Pfingstmontag) und in gemeinsamer Trägerschaft mit der benachbarten Schwälmer Töpferei Erbehof rundet den Beitrag der Dorfmühle zur dörflichen Entwicklung ab.

Mit der Gründung der Genossenschaft Das Goldene Vlies eG wurde eine Vermarktungsgemeinschaft für Produkte aus der Wolle der Coburger Fuchsschafe geschaffen. Seit Ende 2006 / Anfang 2007 besteht weiterhin in der Dorfmühle ein kleiner Verkaufsraum für die Vermarktung der eigenen Erzeugnisse sowie für weitere Naturkost und Naturwaren u.v.a.m.

Jörg Haafke betreibt darüber hinaus das Landschaftsplanungsbüro „NEULAND plan und rat“ sowie in kleinerem Rahmen die Ausführung von Landschaftspflegearbeiten.

Aus der Geschichte

  Historische Ansicht

Die älteste (uns) bekannte urkundliche Erwähnung der Dorfmühle Willingshausen datiert aus dem „Lager-, Stück- und Steuerbuch der Dorfschaft Willingshausen, adelich Schwertzellsches Gericht, Amts Ziegenhain“ des Jahres 1747. Danach war die im Dorf gelegene Mühle „fürstlich-hersfeldisches Lehen derer von Schwertzell und bestand aus zwei unterschlächtigen Mahlgängen, einem Schlag- und einem Schneidegang“ zum gleichzeitigen Betrieb von Getreide-, Öl- und Sägemühle. „Bei gutem Wasserstand konnte die Mühle mit beiden Gängen 3 Viertel und 122 Malter in 24 Stunden mahlen, was einem Pachtgeld von 40 Vierteln, 5 Maltern Korn sowie 11 Reichstalern entsprach“ (aus SIEBURG, DANKWARD: „Willingshausen gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts“ in: Schwälmer Jahrbuch 1997; 1 Malter = 4 Viertel = 642,953 Liter).

Als der Müller Arnold 1907 tödlich im Mühlensägewerk verunglückte, wurde die Mühle zunächst von seinem Schwager, dem Stellmacher Johann Heinrich Riebeling übernommen. Nach dessen Tod 1918 übernahm sie sein gleichnamiger Sohn. 1954 pachteten dann dessen Bruder Heinrich Riebeling und sein Sohn Georg Riebeling die Mühle. 1966 wurden erste Siloanlagen errichtet und die erste Trocknung eingebaut.

1973 erwarb Georg Riebeling die Mühle von dem Baron von Schwertzell. Der Eigentumswechsel vollzog sich vor dem Hintergrund einer umfangreichen Modernisierung der Getreidevermahlung. Neben der Getreidevermahlung betrieb die Familie Riebeling noch bis 1993 eine kleinere Landwirtschaft. Die Mühle Riebeling belieferte bis zur Stillegung der Getreide-vermahlung viele Bäcker im Umkreis von etwa 40 Kilometern mit hochwertigem Qualitätsmehl aus handwerklicher Erzeugung. Die letzten Wasserräder wurden um die jüngste Jahrhundertwende durch eine Turbinenanlage ersetzt. Zunächst kamen zwei nebeneinandergeschaltete Turbinen zum Einbau, bis schließlich 1946 eine Francis-Turbine installiert wurde, die bis ins Frühjahr 1999 zuverlässig ihren Dienst versah.

Daten

Geographische und strukturelle Daten 

Region: Schwalm (Hessen), nördlich des Vogelsberges Ökologische Kenndaten: ca. 230 m über NN 500 - 600 mm Jahresniederschlag 

Landschaft: Land- und forstwirtschaftlich geprägt

Politische Zugehörigkeit: Gemeinde Willingshausen (Samtgemeinde mit ca. 5000 Einwohnern - der Ortsteil Willingshausen hat ca. 900 Einwohner) am Südrand des Schwalm-Eder-Kreises, unmittelbar benachbart zu den Kreisen Marburg-Biedenkopf und Vogelsbergkreis

Bahnanschluß: Schwalmstadt-Treysa an der Intercity-Strecke Marburg - Kassel, ca. 8 Kilometer entfernt.

 

 

 Landschaft,

         Lageskizze 

Mühlendaten

Wasserkraftnutzung der Antreff, einem Nebengewässer der Schwalm

30 kW- Kaplan-Turbine zur Stromerzeugung mit einer Jahresleistung ca. 120.000 kwh, Netzeinspeisevergütung seit 1.4.2000: Euro 0,0767/kwh. CO2-Einsparung: 120 Tonnen / Jahr. Jahresmahlkapazität: ca. 1000 Tonnen (derzeit ungenutzt)

Drei doppelte und zwei einfache MIAG-Walzenstühle mit 16 Passagen. Getreidelager: ca. 900 Tonnen

Brutplatz von Wasseramsel und Gebirgsstelze unmittelbar an der Turbinenanlage sowie seit 2006 von Turmfalke am Getreidesilo

   Turbine